Wie die Zeit doch vergeht.
Vor genau 100 Tagen habe ich begonnen, als Gebärdensprachdolmetscherin in die Selbstständigkeit zu gehen. Es war keine spontane Idee, sondern es war von mir ein wohlüberlegter Schritt – in die richtige Richtung, wie ich jetzt im Nachhinein sagen kann. Es spielten dabei einige Faktoren und Umstände eine wesentliche Rolle. Das aber jetzt alles im Einzelnen zu erklären, wäre ein weiterer Blogartikel dazu nötig.
Nur kurz sei hierzu gesagt: Es war der richtige Zeitpunkt meiner Ex-Firma Adieu zu sagen, um neues unbekanntes Ufer zu betreten.
Meine 5 Erkenntnisse
Was nehme ich nun aus den ersten 100 Tagen meiner Selbstständigkeit mit? Hiermit stelle ich meine fünf Erkenntnisse aus den ersten 100 Tagen meiner Selbstständigkeit vor:
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Selbstständigkeit = Lebensstil
Selbstständig zu arbeiten bedeutet nicht nur einfach anders zu arbeiten; obwohl das natürlich auch stimmt. Es bedeutet vor allem auch, ein völlig anderes Leben zu führen, als wenn man Montag bis Freitag irgendwo zu einem Büro hinfährt. An dieses Mindset musste ich mich auch erst mal gewöhnen. Schließlich war ich über 5 Jahre lang immer in das gleiche Büro gefahren.
Natürlich hatte ich auch ein wenig Angst, dass mein Bild der Selbstständigkeit ohne Erfolg gekrönt sein wird.
Jedoch: „Angst haben hilft nicht.”
Dieser Satz half mir in den ersten Wochen, die ganzen neuen Aufgaben wie Anmeldungen (z. B. Krankenkasse und Finanzamt), Vorstellungen (bei Kollegen und Kostenträgern), Büroausstattung und -material kaufen zu bewältigen.
Letztendlich lernte ich aber auch die Vorzüge der Selbstständigkeit kennen: selbstständig entscheiden, wann man mit der Arbeit beginnt, wann man aufhört, welche Aufgabe man zu welchem Zeitpunkt erledigt, wann ich schlafen gehe, aufstehe und wann ich meine Mahlzeiten einnehme.
Alles im allem fühlte ich mich nicht mehr fremdbestimmt. Das war ein befreiendes Gefühl und so habe ich mein Work-Life-Balance dadurch so langsam wieder gefunden. Nicht zu 100 %, aber ich denke, ich befinde mich auf einem guten Weg.
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Neue Arbeits- und Feierabendroutine
Nachdem die Anfangsphase mit Anmeldungen, Vorstellungen usw. vollbracht ist, kamen auch bald die ersten Aufträge rein.
Da einige Aufträge nicht an feste Bürozeiten gebunden waren, kam es auch mal vor, dass ich recht früh aufstehen musste, um zum Einsatzort zu fahren oder erst recht spät nach Hause kam, weil ein Einsatz bis 21 Uhr stattfand.
Nun, das gehört natürlich zu meiner Arbeit dazu, aber ich merkte, ich brauche doch eine Routine für morgens und abends, damit ich auch mental in den „Arbeits-” und den „Feierabendmodus” komme. So habe ich für mich in den letzten 100 Tagen an verschiedenen Morgen- und Abendroutinen probiert.
Es ist noch nicht perfekt, aber immerhin brauche ich jetzt kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, dass die Arbeit auch mal liegen bleibt, denn morgen ist ja bekanntlich auch noch ein Tag.
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Co-Arbeit neu entdeckt
Während meiner Zeit als angestellte Dolmetscherin war „Co-Dolmetschen” für mich ein Fremdwort. Egal, wie viele Stunden ich am Stück dolmetschen musste, ich musste alleine dolmetschen.
Der Austausch mit Kollegen, wie man sich verbessern konnte, gab es nicht. Mit der Zeit hatte ich auch das Gefühl, dass sich meine Dolmetscherleistung verschlechterte. Es fehlte einfach qualitatives Feedback und neue herausfordernde Einsätze, worin ich als Dolmetscher wachsen konnte. Mehrere Jahre immer das Gleiche dolmetschen. Hm, ich weiß nicht, ob man daran wachsen kann. Ich eher nicht.
Jetzt genieße ich förmlich jeden Einsatz mit einem Co, da ich endlich Feedback erhalten kann, selbst Feedback abgeben kann und noch dazu die Kollegen kennen lerne. Ich darf und kann in meiner Profession wachsen. Ich finde das wunderbar und dafür sehr dankbar.
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Lebenslanges Lernen
Seit Beginn meiner Selbstständigkeit habe ich unglaublich vieles Neues dazu gelernt. Sei es die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formularen der Kostenträger, sei es der Austausch vor Ort mit Kollegen, das Treffen neuer Kunden und das Dolmetschen in mir bisher unbekannten Settings.
Noch ist vieles neu und aufregend, denn nach 100 Tagen kann ich nur bei ganz wenigen Settings von einer Art „Routine-Dolmetschen” sprechen.
Aber das ist nicht schlimm. Das gehört zur Selbstständigkeit dazu, dass immer wieder mal etwas Neues dazu kommt oder dass ein bisher mir bekanntes Setting plötzlich in einem anderen Rahmen stattfindet. Ich freue mich auf diese neuen Herausforderungen, denn nur so kann ich in meiner Funktion als Dolmetscherin wachsen und besser werden. Faktoren, die ich doch in meinem Angestelltendasein letzendlich vermisst habe.
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Netzwerken
Es gibt wohl kaum ein Ratgeber zum Thema Selbstständigkeit, der diesen Tipp nicht beinhaltet: Netzwerken.
Netzwerken gehört zu den wichtigsten Dingen, die man von Anfang an als Selbstständige (unabhängig welcher Beruf) beherzigen sollte. Keiner ist alleine auf der Welt und man möchte ja mit seiner Arbeit bekannt werden und Aufträge einholen.
So habe ich mich – da ich nun als freie Dolmetscherin zur Verfügung stand – mich bei meinen Kollegen gemeldet, dass ich jetzt „da” bin und dass ich mich auf die zukünftige gemeinsame Zusammenarbeit freue.
Prompt gab es auch bald ein Online-Treffen mit mehreren Kollegen und so hatte jeder sich auch ein erstes Bild von der anderen Person machen können. Bald folgten auch gemeinsame Dolmetschereinsätze. Der erste Schritt war getan.
… und wie geht es weiter?
Tja, gute Frage.
Weiterhin Routinen entwickeln und etablieren. Work-Life-Balance finden. An meiner eigenen Professionalität arbeiten. Besser werden. Neues wagen und nicht verzagen, wenn mal ein Einsatz nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat. Nobody is perfect – Keiner ist perfekt.
Und solltest du noch überlegen, ob du dich als Gebärdensprachdolmetscher (oder in einem anderen Beruf) selbstständig machen solltest oder nicht.
Trau dich! Es kann sich lohnen.
Liebe Grüße